Bewege oder trainiere ich mein Pferd?
Wie viel Training braucht ein Pferd? Wie viel Training ist gesund? Was der Unterschied zwischen bewegen und trainieren? In meinem Alltag als Trainerin werden mir diese Fragen oft gestellt. Viele sind verunsichert, ob sie ihrem Pferd zu viel zumuten oder vielleicht auch zu wenig trainieren und das Pferd unterfordert ist. Beides ist natürlich nicht optimal. In generell gibt es jedoch keine einfache Antwort auf diese Fragen. Jedes Pferd ist individuell und je nach Trainingszustand braucht es mehr oder weniger Training.
,,Training ist [definiert als] planmäßiger Aufbau von konditionellen Fähigkeiten, Koordination/Technik und Entfaltung der Persönlichkeit.‘‘
Training hat also zum Ziel etwas zu verbessern und weiterzuentwickeln. Gutes Training ist außerdem nicht verbrauchend und verschleißend aber dennoch eben leistungssteigernd. Findet keine Leistungssteigerung statt, so sprechen wir im Pferdesport nicht von Trainieren sondern von Bewegen.
Was für ein Pferd bewegen und was trainieren ist hängt von der individuellen derzeitigen Leistungsfähigkeit ab. Für ein junges Pferd kann eine Stunde Ausreiten in allen Gangarten mit Reitergewicht bereits zu viel sein, während dieser Ausritt für ein Distanzpferd noch nicht einmal ausreicht, um die Leistungsfähigkeit zu erhalten.
Auch die Rasse und das Alter des Pferdes spielt eine Rolle! Es gibt Pferderassen, die zum ausdauernden Laufen gemacht sind, wie z.B. Araber. Diese Pferdetypen stehen im linearen Typ. Das Gegenteil wäre der laterale Typ. Hierzu zählen z.B. Kaltblüter. Sie haben viel Kraft aber weniger Ausdauer. Natürlich gibt es auch viele Pferde die zwischen diesen Extremformen stehen, hier muss man wieder individuell schauen, wofür sich das Pferd eignet und was es körperlich leisten und anbieten kann.
Schauen wir uns jetzt einmal an, wie viel Bewegung ein Pferd eigentlich braucht. Pferde sind Lauftiere und Dauerfuttersucher. Das heißt, sie bewegen sich natürlicherweise den ganzen Tag in moderater Geschwindigkeit fort und nehmen dabei Futter auf. Es gibt hierzu viele verschiedene Forschungen, die alle etwas andere Streckenangaben beschreiben. Im Durschnitt kann man aber sagen, dass ein Pferd in freier Wildbahn in etwa 20km am Tag zurücklegt. Natürlich sind unsere Pferde nicht identisch zu den wild lebenden Exemplaren aber die 20km sind ein ganz guter Richtwert. Steht ein Pferd in einem gut durchdachten Offenstall werden hier täglich schon einige Kilometer zurückgelegt, meistens jedoch nicht die erwünschten 20km. Dazu fehlen uns hier in Deutschland einfach die Flächen und in den wenigsten Haltungsformen ist eine ausreichende Bewegung des Pferdes sichergestellt. Das heißt wir müssen unserem Pferd täglich zusätzliche Bewegungsanreize liefern. Dazu sollten wir das Pferd jedoch auch nicht täglich reiten.
Warum ist das so? Der Begründer der Osteopathie Andrew Taylor Still (1828-1917) sagte: ,,Kompression ist der größte Schadensmechanismus für den Körper.” Wenn wir das Pferd reiten, setzen wir es Kompression in der Sattellage aus. Das passiert auch, wenn der Sattel optimal passt. Das passiert sogar, wenn wir nur einen Longiergurt anschnallen und das Pferd longieren. Alles was das Pferd auf dem Rücken trägt verursacht Kompression.
Warum ist Kompression so schädlich? Durch den Druck in der Sattellage verändert sich das Fasziengewebe. Normalerweise arbeiten die Faszien ähnlich wie ein Schwamm: Die Proteoglykane im Fasziengewebe saugen sich mit Gewebswasser voll und puffern das Gewebe gegen Druck. Werden sie länger andauerndem Druck ausgesetzt werden sie zerstört und können ihre puffernde Arbeit nicht mehr leisten. Durch die mangelnde Pufferung kommt es zu Verklebungen der thorakolumbalen Faszie (Rücken) und dadurch zur Mangelversorgung des Gewebes. Faszien umspannen den gesamten Körper des Pferdes und sind alle miteinander verknüpft. Wenn also die große Rückenfaszie verklebt ist und nicht mehr richtig arbeitet, hat das weitreichende Folgen für den gesamten Organismus (Sehnenprobleme, Senkrücken, Kissing Spines, Knie- und Sprunggelenksprobleme, Beckenschiefstand).
Was kann man gegen diese Schädigung tun? Ganz einfach: den Pferderücken nicht jeden Tag Kompression aussetzen. Die Faszien können sich nämlich wieder regenerieren und sind dann wieder in der Lage wie ein Schwamm den Druck abzupuffern. Dazu benötigen sie jedoch je nach vorangegangener Belastung 2-10 Tage. Nach einem Wanderritt braucht das Pferd mehr Erholung als nach einer kleinen Runde um den Hof. Natürlich spielt auch das Gewicht des Reiters und die Passform des Equipments sowie viele weitere Faktoren im Training selbst eine Rolle. Fest steht jedoch: Tägliches Reiten ist in jedem Fall schädlich! Ein weiterer kleiner Tipp: Reibe nach dem Reiten den Rücken deines Pferdes mit einem Handtuch oder einem Handschuh mit Noppen (Massagehandschuh) ab. Das Fördert die Regeneration der Faszien und lindert eventuelle Schmerzen.
Was mache ich dann an den Tagen, an denen ich nicht reite? Du kannst an den Tagen spazieren, vom Boden aus arbeiten, das Pferd als Handpferd mit ins Gelände nehmen etc… In jedem Fall sollte dein Pferd trotzdem bewegt werden.
Wie genau die optimale Bewegung aussehen sollte erkläre ich in meinem Kurs Trainingsplanung für Freizeitreiter. Dort gehen wir ganz intensiv auf das Thema ein.
Eine kleinere Version des Kurses ist mittlerweile auch erschienen: Basis- und Aufbautraining, Grundlagenausdauer. In diesem Kurs geht es darum, wie man ein Pferd gezielt auftrainieren kann und wie es durch ein gutes Basis-Training langfristig gesund bleiben kann.
Halten wir also nochmal fest: Training bedeutet eine Verbesserung der Leistung. Findet keine Leistungssteigerung statt sprechen wir im Pferdetraining von Bewegen. Was für ein Pferd trainieren und was bewegen ist hängt von der individuellen Leistungsfähigkeit, Rasse, Alter und dem Trainingszustand ab.
Trotzdem möchte ich dir hier noch ein paar präzise Zahlen an die Hand geben und zwar Zahlen aus dem Bereich der Pulsmessung. Der Puls gibt uns die Möglichkeit eine objektive Leistungseinschätzung vorzunehmen. Mittlerweile gibt es auch spezielle Sensoren für Pferde, die während dem Training die Pulswerte des Pferdes aufzeichnen und anschließend über eine App ausgewertet werden können. Das ist natürlich eine tolle Sache aber zum Einstieg kann man den Puls auch analog mit den Fingern tasten und messen. Dazu erfühlst du den Puls zwischen den Ganaschen deines Pferdes unten am Kopf, also quasi umgangssprachlich an der dünnen Haut zwischen den Backen. Dann stellst du dir eine Stoppuhr und zählst für 15 Sekunden die Schläge. Dann multiplizierst du das Ergebnis mit 4 und erhältst den Puls pro Minute.
Es ist sinnvoll, die Pulsmessung regelmäßig über einen kleinen Test zu wiederholen und die Werte zu notieren. Du kannst dein Pferd dazu zum Beispiel je 5 Minuten auf jeder Hand in jeder Gangart longieren und bei jedem Übergang und jedem Handwechsel den Puls messen. Wenn du dieses Schema regelmäßig wiederholst erhältst du einen guten Überblick über die Leistungssteigerung deines Pferdes.
Beobachte dabei auch die Regenerationszeit deines Pferdes. Im Optimalfall sollte der Puls nach einer Anstrengung, also zum Beispiel nach einer längeren Galoppreprise, nach fünf Minuten wieder auf entspanntem Niveau sein.
Hier noch ein kleiner Überblick über die Pulswerte bei verschiedenen Trainingsintensitäten:
Sehr leicht: 28-110bpm
Leicht: 110-130 bpm
Moderat/Mittel: 130-150 bmp
Intensiv: 150-180 bpm
Maximum: 190-240 bpm
Ich hoffe ich konnte dich mit diesem Artikel ein bisschen dazu animieren, das Training deines Pferdes einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn du noch mehr wissen willst schau dir einfach mal meine Online-Kurse an. Du findest sie hier.
Ich empfehle dir wirklich einmal die Pulswerte zu messen und eventuell auch mit deinem Handy die zurückgelegte Strecke in Kilometer zu messen, wenn du zum Beispiel einen kleinen Ausritt machst. Ich finde das immer wieder erstaunlich, wenn man wirklich mal schwarz auf weiß Zahlen vor sich sieht. Ich habe zum Beispiel kürzlich mal ganz genau auf die Uhr geschaut, während ich auf dem Platz geritten bin. Ich bin 50 Minuten geritten und dabei in Etappen 25 Minuten getrabt. Der Rest war Schritt zum Auf- und Abwärmen. Nimmt man jetzt an, dass ein Pferd ca. 15kmh schnell ist, wenn es moderat trabt, so müsste ich quasi eine Stunde reiten um 15km zurück zu legen. In meiner aufgezeichneten Trainingseinheit, in der ich 25 Minuten getrabt bin habe ich also nur gute 6km an Strecke zurückgelegt… Würde mein Pferd jetzt in einer Box stehen und hätte keinerlei Bewegungsanreize über den Tag, dann wäre diese durchschnittliche Einheit schlichtweg viel zu wenig für mein Pferd.
Ich möchte dir hier also wirklich ans Herz legen mal ganz genau hinzuschauen im Training und auch möglichst viele Werte schwarz auf weiß zu messen und anzuschauen. Das ist wirklich interessant und kann dir dabei helfen, dein Pferd langfristig gesund zu erhalten!